Service Design

Wie Service Design funktioniert

Im Netz mangelt es nicht an detaillierten Beschreibungen der gängigen Service-Design-Methoden und der zugrundeliegenden Konzepte und Prozesse. Allerdings scheinen die meisten dieser Darstellungen sowohl von idealen Budgets als auch von idealisierten Prozessen auszugehen.
Das Konzept des Design Thinking, Mitte der 1990er Jahre entwickelt und in den 00er Jahren des 21. Jahrhunderts von Designfirmen aufgegriffen und verfeinert, ist angetreten, um die enggeführten Ingenenieursansätze des 20. Jahrhunderts, die vornehmlich auf Effizienzsteigerung vermittels technischer Systeme setzten, mit einem Fokus auf Endnutzerinteressen und -bedürfnissen neu zu formulieren. Prozesskonzepte wie double diamond oder die Fünf Stufen des Design Thinking bieten dabei einen Konzeptrahmen, der die Wichtigkeit des subjektiven Nutzenempfindens über technische Standardisierungsbestreben stellt.
Ein Nebeneffekt dieser Bemühungen ist die Schaffung eines kollektivisitischen Designansatzes. Etwas zugespitzt ausgedrückt: 1. Jeder ist ein Designer. 2. Es gibt keine Ideen, die gemeinschaftlich gedacht nicht besser würden und 3. Wenn es der Kundenerfahrung dient, müssen wir es machen.
Diese Artikelreihe versucht, diesen etwas naiv anmutenden Ansatz zu vermeiden und stattdessen die Domäne des Kundeninteresses mit der Domäne des Unternehmensinteresses bei der Schaffung und Verbesserung von Services zu verknüpfen.

Teil 1: Warum Servicedesign?

„Wenn jedes einzelne Artefakt, sei es Inhalt, Produkt oder Service, Teil eines größeren Ökosystems ist, verlagert sich der Fokus von der Gestaltung einzelner Elemente hin zur Gestaltung prozessübergreifender Erfahrungen.“ (Andrea Resmini, “Information Architecture for ubiquitous ecologies”, hier, Zitat von mir übersetzt).

Wenn wir an unsere eigenen Erfahrungen als Kunden denken, können wir sie auf zwei Arten betrachten: Entweder wir betrachten die Qualität der Erfahrung – die Menge an Freude, die wir beispielsweise aus einem Onlinekauf gezogen haben, die Leichtigkeit und Nahtlosigkeit, die wir erlebt haben, die Wirkung, die der Produktkauf auf uns hatte – oder wir schauen uns an, wie wir den gesamten Prozess von der Produktauswahl bis zum Abschluss der Bestellung erlebt haben.

Gerade die letztgenannte Perspektive ist auch für Unternehmen und andere Organisationen interessant. Organisationen, die um Produktabteilungen herum organisiert sind und mit standardisierten Prozessen arbeiten, haben ein großes Interesse an einem möglichst kurzen Weg vom Produktinteresse bis zum Produktkauf. In den letzten Jahren hat sich das Interesse der Organisationen über den Bereich ihrer Hauptprodukte hinaus entwickelt. Immer mehr Unternehmen kombinieren ihre Produkte mit standardisierten oder maßgeschneiderten Dienstleistungen. Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist, dass der Wert einer produktbasierten Dienstleistung den Produktwert steigert und ergänzt.

Diese Dienstleistungen (auch Services genannt) sind zu einem eigenständigen Wertstrom (engl. Value stream) geworden – und wenn Services gut umgesetzt werden, können ganze Service-Ökosysteme geschaffen werden. Für Kunden bilden diese Service-Ökosysteme eine lineare Abfolge von Ereignissen. Für Unternehmen sind diese Erlebnisse an bestimmte Interaktionspunkte (auch Touchpoints) geknüpft.

Service Design kann dabei helfen, ein systematisches Verständnis der von einem Unternehmen bereitgestellten Dienstleistungen (oder des Service-Ökosystems als Ganzes) zu etablieren, um das Kundenerlebnis zu strukturieren und zu verbessern. Der anfängliche Werkzeugkasten zur Schaffung dieses systematischen Verständnisses besteht im Wesentlichen aus Journey Mapping und Experience Mapping.

Schauen wir uns ein Beispiel dafür an.

Ein Pizzarestaurant in Ihrer Nähe

Viele Pizzarestaurants in den Vororten der Städte bieten ihre Essen sowohl “zum hier essen” als auch “zum Mitnehmen” an. Der größte Unterschied zwischen den beiden Diensten besteht in der Abfolge von Ereignissen, die das Kundenerlebnis strukturieren.

Ein Gast, der in einem Restaurant isst, erlebt etwa die folgende Reihenfolge: Er betritt das Lokal, sucht sich einen freien Tisch und lässt sich dort nieder. Eine Speisekarte wird vom Servicemitarbeiter präsentiert, Getränke werden bestellt und wenn die Getränke an den Tisch gebracht werden, werden die Essensbestellungen entgegengenommen. Nach einer Wartezeit wird das Essen an den Tisch gebracht.

Die Gäste essen und können zum Essen (oder danach) weitere Getränke bestellen. Nach dem Essen bitten sie um die Rechnung, bezahlen und verlassen das Lokal.
Der größte Unterschied zwischen dem Im-Haus-Verzehr- und dem Mitnehm-Erlebnis ist der Zeitpunkt der Bezahlung: Am Tisch hat der Kunde in der Regel gegessen, bevor er bezahlt; Bei Mitnahme-Bestellungen erfolgt die Zahlung meistens direkt bei der Bestellung. Die Bezahlung erfolgt für Gäste, die vor Ort essen, am Tisch und für Kunden, die Essen mitnehmen, an der Theke.

Das Außer-Haus-Erlebnis ist folgendermaßen strukturiert: Man betritt das Lokal, studiert die Speisentafel hinter der Theke; man bestellt an der Theke, bezahlt die Bestellung, und wartet in der Nähe der Theke, während die Pizza zubereitet, gebacken und verpackt wird. Sobald die Pizza fertig ist, verlässt der Kunde das Restaurant mit seiner Pizza im Karton.

Am Anfang steht Beobachtung

Diese allgemeine Abfolge von Ereignissen wird von verschiedenen Kunden unterschiedlich erlebt. Wir beschreiben zunächst den verallgemeinerten Pfad einer Kundenerfahrung (Customer Journey, auf deutsch auch etwas holprig “Kundenreise” genannt), der jedoch von unterschiedlichen Vorerfahrungen und daraus resultierenden Erwartungen der Kunden geprägt wird. Diese Prägung speist sich aus persönlichen Vorlieben und Abneigungen, den Veranlagungen und Vorerfahrungen der Kunden, und aus den Fähigkeiten des Servicepersonals. Abhängig von all diesen Faktoren kann die Kundenerfahrung für jeden einzelnen Kunden variieren.
Interaktionen zwischen Kunden und Mitarbeitern können direkt beobachtet, die mentalen Prozesse der Kunden jedoch nur indirekt erschlossen werden. Vor Ort machen sich Service-Designer detaillierte Notizen darüber, wie sich die einzelnen Interaktionsmuster im Zeitverlauf entfalten. Service-Designer suchen dann nach Mustern, nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Interaktionsabläufen, wie sie von verschiedenen Kunden erlebt werden.

Wie hilft das einem Unternehmen?

Unternehmen sind daran interessiert, ihre Dienstleistungen effizient bereitzustellen. Damit dies gelingt, profitieren Organisationen von einem tiefen Verständnis des aktuellen Zustands ihres Service-Ökosystems. Historisch gesehen geht der Untersuchung der Serviceumgebung die Planung von etablierten und definierten Geschäftsprozessen voraus. Die Hauptfrage ist nun: Sind diese bereits im Vorfeld definierten Prozesse eher unterstützend oder eher hinderlich für das Kundenerlebnis?

Unternehmen sind sehr daran interessiert, Engpässe in ihren Serviceumgebungen zu identifizieren. Natürlich sehen sie sich als Teil eines Optimierungsspiels mit dem Ziel, kritische Teile ihrer Leistungserbringung zu verbessern. Da an den meisten Dienstleistungen Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Organisation beteiligt sind, möchten Unternehmen jeden Interaktionspunkt, an dem sich ihr Dienstleistungsangebot manifestiert, genauer unter die Lupe nehmen und streben daher häufig danach, eine Touchpoint-Map ihrer Dienstleistungslandschaft zu erstellen. Bevor das allerdings möglich ist, müssen wir noch etwas weiter ausholen.

Von Erlebnispfaden zu Customer Journey Maps

In seiner einfachsten Form zeigt der Erlebnispfad die Abfolge von Ereignissen, die ein Kundenerlebnis ausmachen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, dies zu zeichnen. Am häufigsten verwenden wir jedoch eine Ausgangsform, in der die Interaktionspunkte beschrieben sind und in „was der Kunde tut“ und „was das Personal tut“ unterteilt werden, wie in Abbildung 1 unten dargestellt.

Abb. 1: Das „Essen-zum-Mitnehmen“-Erlebnis als einfaches Pfaddiagramm. Oberhalb des Pfeils wird notiert „Was der Kunde macht“, darunter steht „Was das Personal macht“.

Mit einer allgemeinen Struktur wie dieser können wir nun tatsächliche Kunden beobachten und versuchen, mehr Details für jede der Interaktionen zu sammeln. Unser Ziel dabei ist es, die häufigsten Probleme zu identifizieren, auf die Kunden auf ihrem Weg stoßen können. Obwohl wir keine großen Abweichungen von der allgemeinen Struktur erwarten, können wir nützliche Einblicke in Herausforderungen und Probleme gewinnen, mit denen Kunden konfrontiert sind. Es kann sein, dass wir beobachten, dass verschiedene Kunden Schwierigkeiten haben, die Speisekarte hinter der Theke zu lesen. Zum Zeitpunkt der Beobachtung wissen wir noch nicht, woran das liegt: ist die Schrift zu klein gedruckt, ist das Licht zu schwach, wurde eine unleserliche Schriftart verwendet, oder leidet der Kunde unter einer Leseschwäche? Einige Kunden fragen möglicherweise nach einer Broschüre mit der Speisekarte, andere bestellen ein Gericht möglicherweise mit einer Nummer, einem falsch ausgesprochenen Namen oder beschreiben das gewünschte Gericht einfach, indem sie alle gewünschten Beläge auf ihrer Pizza nennen. Der Punkt ist: Wir beschreiben die unterschiedlichen Erfahrungsperspektiven im Moment ihres Auftretens, und versuchen, die guten und schlechten Erfahrungen sowie die angewandten Problemumgehungen zu ermitteln, die Kunden in bestimmten Interaktionsphasen durchlaufen.

Customer Journey Maps zeigen häufig die emotionale Qualität des Erlebnispfads, indem sie entweder den Verlauf selbst als aufwärts oder abwärts gerichteten Pfad als positiv oder negativ empfunden darstellen, oder indem sie eine Reihe von Emojis für jeden der Interaktionspunkte verwenden. Abb. 2 zeigt einige beispielhafte Beobachtungen und gibt anhand einer Reihe von Emojis einen groben Überblick über die verursachte Kundenstimmung.

Abb. 2: Eine erweiterte Version des grundlegenden Erlebnispfads mit Notizen für aufgetretene Probleme und einer Darstellung der dadurch hervorgerufenen emotionalen Zustände des Kunden während des Gesamterlebnisses (unter der Linie angegeben).

Es ist leicht zu erkennen, dass die Varianz der geäußerten oder abgeleiteten Kundenemotionen zunimmt, je mehr Beobachtungen in einer Kundensituation gemacht werden können. Durch die Überlagerung der verschiedenen Erlebnispfade können wir eine größere Varianz derjenigen Ereignisse erfassen, die in jeder einzelnen Phase schief gehen könnten. Durch den Vergleich der Erfahrungen und deren Zuordnungen zu den jeweiligen Interaktionspunkten erhalten wir ein gutes Verständnis für die Gemeinsamkeiten in den Erfahrungen und für die angewandten Abhilfemaßnahmen.

Während der Detailgrad einer Customer Journey Map nach Belieben vertieft werden kann, sind die hier beschriebenen Elemente zunächst zwingend erforderlich, um ein angemessenes Verständnis der Servicesituationen zu entwickeln, in der sich die Kunden wiederfinden.
Im nächsten Teil dieser Artikelserie wird die Vorgehensweise für die Weiterentwicklung dieser Erlebnispfaddarstellung erläutert. Die Zielsetzung dafür ist die Erstellung einer Touchpoint-Map.